So setzt du den Groove an den Drums um: Radiohead – Let Down

Radiohead Let Down Drums

Für Drummerinnen und Drummer ist der Titel Let Down von Radiohead nicht nur musikalisch interessant, sondern auch hochaktuell. Ein guter Anlass, sich den Groove, den Sound und die Struktur am Set genauer anzuschauen. In diesem Artikel betrachten wir die Drums von Let Down Schritt für Schritt.

Einordnung: Ein Song zwischen Kultstatus und TikTok-Hype

„Let Down“ erschien 1997 auf Radioheads drittem Studioalbum OK Computer und galt lange als einer der subtileren, aber stilprägenden Tracks der Band. Der Song kombiniert mehrschichtige Gitarren- und E-Piano-Figuren mit einem sehr kontrollierten Bandsound und Texten, die Entfremdung und emotionale Distanz thematisieren. Rund 28 Jahre nach der Veröffentlichung erlebt „Let Down“ eine überraschende zweite Karriere: Über TikTok verbreitet sich der Song aktuell in einer Vielzahl emotionaler Clips und schafft es dadurch erstmals in die US Billboard Hot 100 – als insgesamt vierter Radiohead-Titel überhaupt. Auch in anderen Ländern taucht der Track in den Single-Charts wieder auf.

Zusätzlichen Schub erhält Let Down durch einen prominenten Einsatz in der gefeierten Serie The Bear, wo der Song in einer Schlüsselszene der ersten Staffel zu hören ist.

Die Band: Radiohead und ihr Klangkosmos

Radiohead zählen seit den 1990er-Jahren zu den einflussreichsten Alternative- und Art-Rock-Bands. Spätestens mit OK Computer verschob die Gruppe um Sänger Thom Yorke den Fokus weg vom klassischen Gitarrenrock hin zu komplexeren Songstrukturen, unkonventionellen Harmonien und experimenteller Produktion. „Let Down“ steht exemplarisch für diesen Ansatz: Auf der Oberfläche wirkt der Song zugänglich und melodisch, doch im Detail finden sich polyrhythmische Überlagerungen, harmonische Verfeinerungen und en Arrangement, das eher an zeitgenössische Klassik und Minimal Music erinnert als an konventionellen Rock.

Der Drummer: Phil Selway

Philip „Phil“ Selway ist seit den Anfängen der Band Schlagzeuger von Radiohead. Sein Stil fällt weniger durch virtuose Solo-Einlagen auf, sondern durch Präzision, hoher Kontrolle über Dynamik und eine klare Priorität: Er stellt den Song immer über das Instrument. Neben dem akustischen Set kommen bei Radiohead häufig elektronische Percussion-Elemente und Pads hinzu, um Studio-Details live abzubilden. In „Let Down“ zeigt sich dieser Ansatz sehr deutlich: Das Schlagzeug legt ein stabiles, eher unaufdringliches Fundament in 4/4, während Gitarren und E-Piano rhythmisch deutlich freier agieren. Die Kunst besteht darin, diesen Ruhepol zu halten, ohne statisch zu wirken – eine Herausforderung, die das Stück gerade für fortgeschrittene Drummer spannend macht.

Der Sound von „Let Down“

Klanglich bewegt sich „Let Down“ irgendwo zwischen Alternative Rock, Art Rock und einer fast schwebenden, „ambient“ anmutenden Textur:

Gitarren & Keys:

Mehrlagige, arpeggierte Figuren, teils in unterschiedlichen metrischen Gruppierungen, erzeugen ein stetig fließendes, leicht flirrendes Pattern.

Vocals:

Thom Yorkes Gesang ist melodisch relativ schlicht, aber emotional stark, mit langen Phrasen und viel Raum, was dem Groove Platz lässt.

Produktion:

Der Gesamtsound ist warm, leicht verhallt und bewusst nicht „überpoliert“ – eher ein organisches Bandfeeling mit viel Transparenz zwischen den Stimmen. Für das Schlagzeug bedeutet das: Keine extremen Kompressionseffekte oder übertriebene Punch-Sounds, sondern ein offener, natürlicher Klang mit Tambourin und Mallets.

Der zentrale Reiz von „Let Down“ liegt in der rhythmischen Überlagerung:

  • Rhythmusgruppe (Drums/Bass): Orientiert sich im Wesentlichen an einem geraden 4/4-Puls.
  • Gitarren/Keys: arbeiten mit Mustern in Fünfergruppen bzw. figurieren in Anlehnung an 5/8-Strukturen, inspiriert unter anderem von Steve Reichs Minimal Music und dessen Phasing-Techniken.

Diese Polyrhythmik erzeugt das typische „schwebende“ Gefühl: Als Drummer solltest du dich strikt am 4/4-Raster orientieren und den Klick als Referenz ernst nehmen, während du die ungeraden Fünfer-Gruppierungen der Gitarren bewusst als „Gegenbewegung“ wahrnimmst.

Für die Praxis heißt das:

Zuerst den Grundgroove isoliert üben (Kick, Snare, HiHat), dann mit Metronom in 4/4 stabil halten, und erst im nächsten Schritt die Gitarrenfigur oder das Original dazu nehmen, ohne dich vom Polyrhythmus „ziehen“ zu lassen.

Der Grundgroove: Songdienliche Zurückhaltung

Der Groove wirkt bewusst „unspektakulär“, schafft aber genau den Rahmen, in dem sich die komplexen Gitarren- und Keyboard-Linien entfalten können. Für Drummer ist das eine gute Übung in Kontrolle, Timing und Soundbewusstsein, ganz im Sinne von Phil Selways generellem Stil.

Dynamik und Songaufbau

„Let Down“ steigert sich weniger über klassische Breakdowns oder große Drumfills, sondern über feine dynamische Abstufungen: In den Strophen bleibt das Schlagzeug eher zurückgenommen, mit moderatem Lautstärkepegel und einem sehr gleichmäßigen Puls sowie einem vorgezogenen Tambourin-Sound als Backbeat. Dieser Beat zieht sich vom Grundgerüst her durch den gesamten Song, im zweiten Refrain wird der Schellenkranz von der Snare abegelöst, was dem Aufbau zusätzliche Dynamik verleiht. Übergänge werden mehr durch das Arrangement (Gitarren, Keys, Vocals) definiert als durch spektakuläre Drumfills. Der Songprägende C-Part macht großen Spaß am Drumset und überzeugt durch Einfachheit und Groove.

Praxistipps: So arbeitest du „Let Down“ am Drumset – Schritt für Schritt

Tempo & Klick festlegen

Starte bei einem moderaten Übetempo unterhalb des Originals von ca. 104-106 bpm und arbeite dich schrittweise an die Albumversion heran.

Groove isoliert üben

Spiele das Grundpattern über mehrere Minuten mit Metronom, ohne Musik – Fokus auf gleichmäßige Lautstärke, saubere Backbeats und eine entspannte Handhaltung.

Polyrhythmik bewusst hören

Höre dir den Song mehrfach an und zähle dabei laut im 4/4-Puls mit. Achte darauf, wie die Gitarrenlines im C-Part „gegen“ deinen Puls laufen, während Bass und Drums ihn stabil halten.

Mit Original mitspielen

Wenn der Groove sicher sitzt, spiele zur Albumversion. Konzentriere dich darauf, nicht auf die Gitarrenfigur zu „springen“, sondern deinen inneren Klick beizubehalten.

Dynamik verfeinern

Arbeite schließlich an Lautstärkestufen: Leisere Strophen, leicht intensivere Refrains, kleine dynamische Bögen über mehrere Takte statt abrupter Sprünge. Mit dieser Herangehensweise bekommst du nicht nur die Noten von „Let Down“ technisch in den Griff, sondern näherst dich auch dem musikalischen Kern des Songs, einem fein ausbalancierten Zusammenspiel von Stabilität und innerer Unruhe, das Radiohead hier sehr exemplarisch auf den Punkt bringen.

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