Keine Rockband hat ihre Musiker so konsequent zu Archetypen stilisiert wie Kiss. Der Dämon, der Sternenmann, der Spaceman – und der „Catman“, Symbol für Wildheit und Instinkt. Doch hinter der grünen Schminke verbirgt sich eine wechselvolle Geschichte von Ruhm, Rivalitäten und Illusionen. Besonders am Schlagzeug verschwimmen Legende und Realität.
Peter Criss: Das Original
Peter Criss (eigentlich Peter George John Criscuola, *1945 in Brooklyn) war Gründungsmitglied und erster Drummer von Kiss. Schon früh im Kirchenchor aktiv, verband ihn eine Freundschaft mit Jerry Nolan, später Drummer der New York Dolls. Beide verehrten den Swing-Giganten Gene Krupa, Criss’ erklärtes Idol.
1972 schaltete Criss eine Kleinanzeige im Rolling Stone: „EXPD. ROCK & roll drummer looking for orig. grp. doing soft & hard music. Peter.“ Gene Simmons meldete sich – wenig später war Kiss geboren. Criss prägte die Frühphase mit swingendem Schlagzeugspiel und einer Stimme, die Kiss einen ungeahnten Top-Ten-Hit bescherte: Beth, eine Schmachtballade im Hardrock-Gewand. Doch je größer die Band wurde, desto deutlicher zeigten sich seine Schwächen. Im Studio ersetzten ihn Produzenten zunehmend durch Session-Schlagzeuger. Auf Dynasty (1979) und Unmasked (1980) spielte der Südafrikaner Anton Fig, später bekannt aus der David-Letterman-Show, die meisten Drumspuren – offiziell ungenannt, aber unverkennbar präzise. Im Mai 1980 verließ Criss Kiss. Offiziell hieß es, wegen „musikalischer Differenzen“. In Wahrheit verhinderten Drogenprobleme und Unzuverlässigkeit seine weitere Karriere. Seinen vertraglich gesicherten Anteil von 25 Prozent behielt er, die Maske des Catman jedoch erbte ein anderer.
Mein Live Tipp! Eine legendäre Live Aufnahme von 1975. Peter Criss fungiert hier nicht nur als Drummer, sondern auch als Sänger.
Eric Carr: Der Fanfavorit
Eric Carr (bürgerlich Paul Charles Caravello, *1950 in Brooklyn, †1991 ebenda) stieß im Sommer 1980 zu Kiss. Der gelernte Gasinstallateur hatte sich in den Siebzigerjahren durch diverse Bands gespielt, bevor er sich gegen Hunderte Mitbewerber durchsetzte. Weil Peter Criss die Rechte am Catman-Design behielt, schuf Carr ein neues Alter Ego: den „Fox“.
Mit Carr veränderte sich der Sound spürbar. Wo Criss noch swingte, setzte er auf Double-Bass-Attacken und metallische Härte. Er spielte auf sieben Kiss-Alben der Achtziger mit, darunter Creatures of the Night und Lick It Up, und übernahm live regelmäßig Gesangsparts, etwa bei Black Diamond. Fans verehrten ihn nicht nur als präzisen Schlagzeuger, sondern auch als bodenständigen, nahbaren Menschen. 1991 wurde bei Carr Krebs diagnostiziert. Als er nicht mehr spielen konnte, nahm Kiss mit Eric Singer den Song God Gave Rock ’n’ Roll to You II auf. Wenige Monate später starb Carr mit nur 41 Jahren. Sein früher Tod machte ihn endgültig zur Kultfigur – der beliebteste Kiss-Drummer in den Herzen vieler Fans.
Mein Live Tipp! Mit Eric Carr in ein neues Jahrzehnt. Kiss live und unmaskiert auf der Animalize Tour 1984.
Eric Singer: Der Profi
Eric Singer (*1958 in Cleveland, Ohio, als Eric Doyle Mensinger) rückte 1991 nach. Zunächst als Aushilfe, dann nach Carrs Tod als offizielles Mitglied. Mit Kiss nahm er das Album Revenge (1992) auf, später auch Carnival of Souls, das allerdings erst 1997 erschien.
Singer war schon zuvor ein gefragter Schlagzeuger: Er spielte bei Lita Ford, Black Sabbath, Gary Moore, Badlands, tourte mit Queen-Gitarrist Brian May, war fest in Alice Coopers Band und arbeitete auch mit Tobias Sammets Projekt Avantasia.
1996 mussten Singer und die damalige Kiss-Besetzung Platz machen für das große Comeback der Originalformation. Doch Peter Criss’ Rückkehr war nur von kurzer Dauer: 2001 ersetzte Singer ihn erneut – diesmal im klassischen Catman-Make-up. Nach einem letzten Intermezzo von Criss im Jahr 2003 blieb Singer ab 2004 dauerhaft in der Band. Mit ihm nahmen Kiss noch zwei Studioalben auf: Sonic Boom (2009) und Monster (2012).
Singer gilt als der technisch versierteste Drummer der Kiss-Historie: präzise, vielseitig, unaufgeregt. Doch er war auch der erste Kiss-Drummer im reinen Angestelltenstatus – kein gleichberechtigtes Mitglied mehr, sondern Teil der Maschinerie. Puristen sehen in ihm das Gesicht der Professionalisierung: weniger Mythos, mehr Handwerk.
Mein Live Tipp! Kiss wieder maskiert in Las Vegas. Eric Singer als Catman. Für viele ist er visuell und technisch der versierteste Drummer von Kiss.
Zwischen Mythos und Realität: Wer ist der beste Kiss Drummer?
Wer war also der „beste“ Kiss-Schlagzeuger? Romantiker schwören auf Criss, das Gesicht der Anfangsjahre. Metal-Fans verehren Carr, den tragischen Helden. Puristen verweisen auf Singer, den souveränen Profi.
Doch die Wahrheit liegt dazwischen – und im Schatten von Anton Fig, der als unsichtbarer Studioprofi entscheidend am Sound beteiligt war. Kiss lebten immer mehr von der Inszenierung als von der nackten Realität.
Vielleicht ist genau das die Pointe: Hinter der Maske verschwinden Schwächen wie Stärken. Nur der Mythos bleibt.
Klar, Peter ist das Original. Aber Eric Singer bleibt für mich der mit Abstand beste Kiss Schlagzeuger.